Westsahara

Staatsfeinde Marokkos?

Die letzten fünf Tage und sage und schreibe 1100km wurden wir von der marokkanischen Sûreté und der Gendarmerie eskortiert, schikaniert und drangsaliert und werden weiterhin auf Schritt und Tritt beschattet!

Angefangen hat alles damit, dass wir in Smara unsere sahraouische Freunde besuchen und ihnen Medikamente, alte Brillen und einige andere Dinge bringen wollten. Vom Campingplatz etwas nördlich von Smara riefen wir unsere Freunde an und verabredeten uns in der Stadt.

Was dann in den nächsten Tagen und Nächten alles passierte, kann man meinen Protokollen entnehmen, von denen ich hier Auszüge wiedergebe:

08.12.2019
Nachts um 1 Uhr werden wir von der Polizei geweckt. Mindestens 6 Leute von der Gendarmerie und ein Zivi von der Sûreté kontrollieren offiziell den Camping, aber eigentlich nur uns (ausser uns ist eh nur ein einziger Camper aus Deutschland hier). Ich diskutiere mit ihnen über den Zeitpunkt und den Grund der Kontrolle. Sie geben hartnäckig vor, es handle sich um eine Routinekontrolle und ziehen nach etwa einer Stunde ab.
Gegen 13 Uhr fahren wir nach Smara und werden von der Sureté am Checkpoint ohne Begründung zum Umkehren aufgefordert. Nach heftigem Widerspruch meinerseits, machen die so provozierten Typen (eine Meute in Zivil) dann doch einige unkontrollierte Bemerkungen, wie “ich wüsste schon, um was es gehe”, “wir seien vor zwei Jahren schon hier gewesen”, “wir hätten uns mit den falschen Menschen getroffen” etc. Aber obwohl nichts konkret gegen uns vorliege, sei Smara für uns “sur l’ordre d’en haut” gesperrt und “il faut respecter la loi”.
Wir fahren zurück zum Camping, um nachzudenken, werden dort aber von der Gendarmerie aufgefordert, sofort weiterzufahren, denn die ganze Provinz Smara sei für uns Sperrgebiet. Wir weigern uns erstmal und warten auf Serge und Betty, die schon früh morgens nach Smara gefahren sind. Später fahren wir dann halt gemeinsam und eskortiert nach Norden. Als wir versuchen nach Akhfennir und zur Küste abzubiegen, werden wir gestoppt und man zwingt uns auf der RN1 zu bleiben. Wir fahren also weiter bis Abteih, wo die Gendarmerie-Eskorte kurz zurückbleibt und biegen ins Oued Chbika ab, wo wir nach einigen Kilometern einen Übernachtungsplatz neben der Strasse wählen. Kaum am Essen, taucht bereits wieder ein Ziviler von der Staatssicherheit im Privatauto auf und fordert uns auf weiterzufahren. Er will uns seinen Namen nicht nennen, zeigt uns auch keinen Ausweis, behauptet aber, er sei der ‘responsable de la region’ und es sei viel zu gefährlich hier zu bleiben, weil Militärzone, Minen, Bösewichte mit 4×4. Da wir uns weigern zu gehen, es ist bereits dunkel und wir sind müde, ruft er per Handy um Hilfe und es kommen noch zwei Typen in Zivil, alle ‘responsable de la region’. Dem Hinweis auf den Widerspruch und der Frage danach, wer nun der wirklich Verantwortliche sei, begegnen sie mit gespieltem Unverständnis und dem Spruch ‘il faut respecter la loi’, meiner Schlussfolgerung, dass ich so keinem von ihnen trauen kann, mit Empörung. Sie bestellen dann aber zur Identifikation doch noch einen Polizisten her, immerhin in Uniform und mit offiziellem Auto. Und uns bleibt schliesslich nichts anderes übrig, als von irgendwelchen Unbekannten eskortiert, in Richtung Meer aufzubrechen. Wieder auf der RN1 wollen wir nach Süden und zu einem nahegelegenen, wilden Campingplatz, aber auch dies wird, von neu herbeigeeilten Gendarmen, verhindert, welche uns zwingen nach El Ouatia zu fahren. Dort werden wir beim absichtlichen hin und her fahren von einem 8-köpfigen Empfangskomitee in 4 Autos (!) ebenfalls hin und her verfolgt (was irgendwie auch lustig war) und wir landeten schliesslich, wieder gegen unseren Willen, um Mitternacht auf dem grossen, hässlichen Camping ‘Sable d’Or’.
Insgesamt sieht es ganz danach aus, als würden uns die Stasis ganz aus der Westsahara verbannen wollen, was den Abbruch unserer Reise bedeuten würde.

09.12.2019
Die Batteriekontrollleuchte in unserem Camper leuchtet seit gestern. Wir versuchen die Fehlerquelle zu finden, vermuten ein defektes Kabel zum Alternator und überbrücken dieses unter den gestrengen Augen der Spitzel.

10.12.2019
Um 10 Uhr fahren wir Richtung Süden los und wir kommen unbehelligt bis zu einem Checkpoint kurz vor Akhfennir. Dort wird unsere Befürchtung bestätigt und wir werden, auf geheiss des Verantwortlichen von Tarfaya, zum Umkehren aufgefordert. Die Beamten dort sind aber grundsätzlich anständig und lassen sich später, vielleicht auch weil ich andeute die Schweizer Botschaft anzurufen, darauf ein, uns zu helfen. Sie telefonieren jedenfalls nach jeder meiner drei Weigerungen nach Norden zurückzukehren, von neuem intensiv. Nach anderthalb Stunden dürfen wir dann weiter, mit der Auflage ohne Halt und direkt nach Layoune zu fahren. Dort angekommen, werden wir noch vor der Stadt von der Sûreté abgefangen und müssen wieder 1.5 Stunden warten, bis ein ziemlich durchgeknallter Oberstasi auftaucht, der mir erklärt, dass wir nun in zwei Minuten quer durch Layoune an die südliche Stadtgrenze eskortiert werden, dann die Pässe wieder erhalten würden und nach Süden weiterfahren dürften. Wir also voran durch die Stadt, hinter uns ein Rattenschwanz von zivilen und offiziellen Polizeiautos und zuhinterst Serge und Betty. Bei einem Kontrollposten bei der Ausfahrt scheisst der Durchgeknallte dann noch Serge total zusammen, weil er hinter ihnen herfahre und beschuldigt ihn zu filmen. Wir bekommen aber dort unsere Pässe zurück, mit der irritierenden Bemerkung wir seien dann das nächste mal wieder ‘les bienvenues’!? Wenig später in El Marsa (nach ca. 25km) gibt es nochmals eine Kontrolle (Pässe, Führerschein, Fahrzeugausweis, Versicherung, …) und nach diesem Halt springt unser Sprinter nicht mehr an. Wir überbrücken, verlassen so schnell als möglich die Stadt und biegen dann ausserhalb auf eine kurze Piste ab, um einen Schlafplatz zwischen Dünen zu finden. Kaum sind wir plaziert, beginnt die nun sattsam bekannte Story von neuem: es kommen zwei Gendarmeriewagen mit 5 Leuten drin, sie erklären uns, dass das hier alles Sperrgebiet, vermint und überhaupt kein guter Platz sei und fordern uns auf ihn zu verlassen. Wir erklären uns für ausserstande weiterzufahren (zu müde, zu spät, zu alt, Camper defekt) und die Beamten sind ausnahmsweise in der Lage ihre “Order” in Frage zu stellen. Sie büssen dafür, indem sie angewiesen werden ca. 200m von uns entfernt in ihren Autos zwischen den Dünen zwecks Bewachung zu übernachten.

11.12.2019
Mit Hilfe einer Überbrückung zu Serges Sprinter starten wir unseren Camper und fahren um ca. 10:30 Uhr gegen Boujdour los. Auf der RN1 werden wir von Anfang an beschattet. Ein Wagen fährt uns voraus, einer hintendrein und beide versuchen dies wie immer ziemlich dilettantisch zu kaschieren. Die Polizisten an den diversen Checkpoints sieht man ausserdem bei unserer Anfahrt jedesmal telefonieren und sie winken uns daraufhin einfach durch.
Wir fahren nur noch dank den Bordbatterien und auch deren Ladung nimmt kontinuierlich ab. Bei ca. 10.8V fallen die elektronischen Steuerungen (ESP, ABS, ASR) aus, später meldet die Konsole bei ca. 10.4V auch noch einen allgemeinen Fehler FF, aber wir kommen auf dem letzten Zacken noch nach Boujdour. Die Kontrolle dort ist etwas speditiver, vermutlich weil die Beamten bereits von unserem Problem mit dem Alternator wissen. Ich erkundige mich noch nach einem Mechaniker und wir fahren daraufhin zu Khalifa Chahbouns Garage im Zentrum der Stadt. Khalifa tritt vertrauenswürdig und kompetent auf und willigt ein, die Reparatur auf dem Camping vorzunehmen, da wir dort für eine etwaige Weiterfahrt nach Dakhla unbedingt die Batterien aufladen müssen.
Wir fahren also zum Camping, installieren uns und schon bald tauchen zwei Typen auf und bauen den Alternator aus. Als sie fertig waren, kommt dann auch Khalifa und es stellt sich heraus, dass er gar nicht mit den anderen zusammen arbeitet, sondern dass diese die Arbeit gekidnappt haben. Die Polizisten scheinen nicht die einzigen mit spitzen Ohren zu sein in Marokko. Wir überlassen dann aber die Reparatur des Alternators dem Elektriker, der mit Khalifa gekommen ist. Schon nach ca. einer halben Stunde kommen sie mit dem geflickten Gerät zurück. Sie haben den defekten Regler ausgewechselt. Zusammen bauen sie nun den Alternator wieder ein und Tests zeigen, dass er wieder einwandfrei läuft. Ein Problem weniger.
Danach gehen Susan, Serge und Betty zusammen spazieren und werden auch dabei ständig beschattet.

12.12.2019
Ab 10 Uhr fahren wir der Steilküste entlang weiter in den Süden. Unsere Beschatter wechseln sich zwar immer wieder ab, sind aber wegen ihres dilettantischen Verhaltens durchschaubar und leicht zu erkennen. Nach ca. 130km möchten wir eine Fundstelle prähistorischer Spuren besuchen und erhalten vom lokalen Militärposten auch die Genehmigung dazu. Auf einer schmalen Strasse geht es runter ans Meer, doch kaum da angelangt, tauchen 5 Leute von der Sûreté, der Gendarmerie und vom Militär in drei Wagen auf und schicken uns wieder weg.
Sie singen das ewig gleiche Lied “C’est tous pour votre sécurité – fideri fidera fiderallalla”, bestreiten, dass sie uns verfolgen, hören absolut nicht zu und sagen nie, warum sie uns überhaupt schikanieren und wer sie wirklich sind. In ihren in arabisch geführten Gesprächen, tauchen jedoch immer wieder die Worte “Suisse” und “Saharoui” auf.
Wir fahren also weiter und die folgenden, bereits informierten Polizeikontrollen lassen uns wieder einfach durch – wenigstens ein Vorteil. Erst beim Checkpoint der Sûreté vor Dakhla müssen wir nochmals warten.

Müde in Dakhla

Dank der polizeilich begleiteten Odyssee von Smara via El Ouatia, El Aaiun und Boujdour nach Dakhla erlebten wir statt unserer geplanten Fahrten durch die Wüste mit Besichtigungen prähistorischer Stätten einfach nur 850km Asphaltstrasse durch zwar faszinierende, aber öde Küstenlandschaft. Aber wir versuchten das Beste draus zu machen, suchten in den Städten Begegnungen mit den Menschen und sind gut Essen gegangen.

Wir kommen ziemlich müde in Dakhla an und beschliessen, einige Tage hier zu bleiben, um uns auszuruhen. Die Landzunge von Dakhla ist eine Art Wilder Westen. Hier herrschen Investoren im Bereich Fischfang, Agrarproduktion und Tourismus. Die Fischerei, von der einst etwa 40% der Bevölkerung lebte, ist weitgehend zerstört und in den Händen von Multis. Sie beschäftigt noch knapp 5% der Einheimischen und wie lange noch ist zudem wegen der massiven Überfischung unklar. Die Bidonvilles der Fischer an der Spitze der Landzunge kontrastieren mit den Luxusresorts für Skiter in der Bucht, wo auch ein Golfplatz nicht fehlt. Auch von der industriellen Agrarproduktion in den riesigen Treibhäusern (60’000 Tonnen im Jahr 2016, v.a. Tomaten für den Export nach Europa) hat die lokale Bevölkerung ebenfalls kaum etwas. Und wenn die billigen Investitionen nichts mehr abwerfen, ist Kapitalist wieder weg und hinterlässt Ruinen, Müll und Zerstörung.

Auch wir profitieren. Die Menschen sind trotz allem sehr freundlich, es gibt einen kleinen, aber feinen Suk und für lange Zeit das letzte Mal guten 4G-Zugang zum Internet.

Trotzdem: die Übergabe!

Von Dakhla fahren wir auf der RN1, der quasi verkehrslosen Transitroute durch die Westsahara, der militarisierten Atlantikküste entlang, weiter nach Süden. Bei Cintra, einer kleinen Landzunge, wollen wir auf einer Piste an die Küste kommen, um dort Felsgravuren anzuschauen. Wir werden aber, diesmal vom offensichtlich bereits informierten Militär, wiederum gestoppt und zurückgeschickt, obwohl andere die Strecke passieren dürfen. Wir nehmen das nun bereits routiniert, aber nicht ohne verbalen Widerstand, hin.

Da wir bis dahin aber nicht mehr nah beschattet werden, rufe ich spontan unseren Freund Hamadi in Smara an, um eine Übergabe der Medis und Kameras beim Hotel Barbas in Bir Gandouz, dem letzten Ort in der Westsahara vor Mauretanien, zu vereinbaren. Das Barbas ist so eine Art moderne Karawanserei. Dort trifft man auf Strassennomaden, Lastwagenfahrer, Reisende, Handelsreisende, Migranten, … und diese finden hier Waschgelegenheiten, Toiletten, Zimmer, eine Moschee und ein Restaurant. Aber auch Einheimische mögen den ruhigen und kühlen Ort, trinken hier einen Tee oder einen Kaffee.

Hamadi hat in Bir Gandouz einen Freund, wie er ebenfalls ein Journalist, und informiert diesen über unser baldiges kommen. Als wir dort eintreffen gibt sich Salem, gekleidet in einer weissen Jelaba, zu erkennen, zeigt aber an, dass wir vorsichtig sein müssen. Auch wir bemerken im Restaurant bald, dass wir wieder ganz nah beschattet werden. Hamadi ruft mich diverse Male mit wechselnden Handynummern an und informiert mich über die Beobachtungen seines Freundes. Wann immer ich das Barbas fürs Telefonieren verlasse, habe ich einen der Sûreté auf den Fersen und mache Small Talk. Während einem sicheren Moment schlage ich vor, die Übergabe in einem kleinen Laden im Städtchen abzuwickeln. Wir packen also die Sachen in Susans Rucksack, spazieren ins Dorf und markieren einen Einkauf in einem Laden, den uns Salem unauffällig signalisiert. Beim Einpacken der Einkäufe in den Rucksack lassen wir die mitgebrachten Sachen dort und wir sehen dann später von weitem, dass Salem diese in mehreren Gängen unbemerkt von unseren Beschattern in Sicherheit bringt.

Immerhin sind nun die für unsere Freunde so wichtigen Dinge dort, wo sie hingehören!
Und wir freuen uns später bei einem z’Nacht im Hotel Barbas auch ganz einfach darüber, die Stasis verarscht zu haben. Der Wirt dort scheint von der Sache zu wissen und lädt uns mit einem breiten Lächeln und der Bemerkung, wir seinen eben “Freunde der Sahara” ein.

Mad Max

Nach den letzten Schikanen bei der Ausreise konnten wir die Stasis Marokkos endlich hinter uns lassen. Die Freude über die wiedererlangte Freiheit war gross, wurde aber getrübt durch die unbeschreibliche Situation im sogenannten Niemandsland vor Mauretanien. In diesem 5km breiten Streifen zwischen der besetzten Westsahara und Mauretanien, eigentlich ein Teil der von der Polisario befreiten Gebiete, stauen sich die von Süden kommenden Lastwagen und gestrandete Menschen richten sich zwischen Müll und Schrott dauerhaft ein. Hier verläuft die einzige richtige Strasse Westafrikas in den Norden und es wird deutlich, dass die EU nicht einfach ein “friedenspolitisches Projekt” ist, sondern eine Festung, deren Herren skrupellos mit menschenverachtenden Randstaaten kooperieren. Das im Osten durch den 2600km langen Wall und im Westen am Atlantik von tausenden von Militärposten eingezäunte und von Europa gehätschelte Marokko ist (wie die Türkei im Osten) eine kaum zu überwindende Barriere für die vom Kapital arm gemachten und die vom Krieg um Ressourcen vertriebenen Menschen.