Afrika 2019-2020


Müde in Dakhla

Dank der polizeilich begleiteten Odyssee von Smara via El Ouatia, El Aaiun und Boujdour nach Dakhla erlebten wir statt unserer geplanten Fahrten durch die Wüste mit Besichtigungen prähistorischer Stätten einfach nur 850km Asphaltstrasse durch zwar faszinierende, aber öde Küstenlandschaft. Aber wir versuchten das Beste draus zu machen, suchten in den Städten Begegnungen mit den Menschen und sind gut Essen gegangen.

Wir kommen ziemlich müde in Dakhla an und beschliessen, einige Tage hier zu bleiben, um uns auszuruhen. Die Landzunge von Dakhla ist eine Art Wilder Westen. Hier herrschen Investoren im Bereich Fischfang, Agrarproduktion und Tourismus. Die Fischerei, von der einst etwa 40% der Bevölkerung lebte, ist weitgehend zerstört und in den Händen von Multis. Sie beschäftigt noch knapp 5% der Einheimischen und wie lange noch ist zudem wegen der massiven Überfischung unklar. Die Bidonvilles der Fischer an der Spitze der Landzunge kontrastieren mit den Luxusresorts für Skiter in der Bucht, wo auch ein Golfplatz nicht fehlt. Auch von der industriellen Agrarproduktion in den riesigen Treibhäusern (60’000 Tonnen im Jahr 2016, v.a. Tomaten für den Export nach Europa) hat die lokale Bevölkerung ebenfalls kaum etwas. Und wenn die billigen Investitionen nichts mehr abwerfen, ist Kapitalist wieder weg und hinterlässt Ruinen, Müll und Zerstörung.

Auch wir profitieren. Die Menschen sind trotz allem sehr freundlich, es gibt einen kleinen, aber feinen Suk und für lange Zeit das letzte Mal guten 4G-Zugang zum Internet.

Trotzdem: die Übergabe!

Von Dakhla fahren wir auf der RN1, der quasi verkehrslosen Transitroute durch die Westsahara, der militarisierten Atlantikküste entlang, weiter nach Süden. Bei Cintra, einer kleinen Landzunge, wollen wir auf einer Piste an die Küste kommen, um dort Felsgravuren anzuschauen. Wir werden aber, diesmal vom offensichtlich bereits informierten Militär, wiederum gestoppt und zurückgeschickt, obwohl andere die Strecke passieren dürfen. Wir nehmen das nun bereits routiniert, aber nicht ohne verbalen Widerstand, hin.

Da wir bis dahin aber nicht mehr nah beschattet werden, rufe ich spontan unseren Freund Hamadi in Smara an, um eine Übergabe der Medis und Kameras beim Hotel Barbas in Bir Gandouz, dem letzten Ort in der Westsahara vor Mauretanien, zu vereinbaren. Das Barbas ist so eine Art moderne Karawanserei. Dort trifft man auf Strassennomaden, Lastwagenfahrer, Reisende, Handelsreisende, Migranten, … und diese finden hier Waschgelegenheiten, Toiletten, Zimmer, eine Moschee und ein Restaurant. Aber auch Einheimische mögen den ruhigen und kühlen Ort, trinken hier einen Tee oder einen Kaffee.

Hamadi hat in Bir Gandouz einen Freund, wie er ebenfalls ein Journalist, und informiert diesen über unser baldiges kommen. Als wir dort eintreffen gibt sich Salem, gekleidet in einer weissen Jelaba, zu erkennen, zeigt aber an, dass wir vorsichtig sein müssen. Auch wir bemerken im Restaurant bald, dass wir wieder ganz nah beschattet werden. Hamadi ruft mich diverse Male mit wechselnden Handynummern an und informiert mich über die Beobachtungen seines Freundes. Wann immer ich das Barbas fürs Telefonieren verlasse, habe ich einen der Sûreté auf den Fersen und mache Small Talk. Während einem sicheren Moment schlage ich vor, die Übergabe in einem kleinen Laden im Städtchen abzuwickeln. Wir packen also die Sachen in Susans Rucksack, spazieren ins Dorf und markieren einen Einkauf in einem Laden, den uns Salem unauffällig signalisiert. Beim Einpacken der Einkäufe in den Rucksack lassen wir die mitgebrachten Sachen dort und wir sehen dann später von weitem, dass Salem diese in mehreren Gängen unbemerkt von unseren Beschattern in Sicherheit bringt.

Immerhin sind nun die für unsere Freunde so wichtigen Dinge dort, wo sie hingehören!
Und wir freuen uns später bei einem z’Nacht im Hotel Barbas auch ganz einfach darüber, die Stasis verarscht zu haben. Der Wirt dort scheint von der Sache zu wissen und lädt uns mit einem breiten Lächeln und der Bemerkung, wir seinen eben “Freunde der Sahara” ein.

Mad Max

Nach den letzten Schikanen bei der Ausreise konnten wir die Stasis Marokkos endlich hinter uns lassen. Die Freude über die wiedererlangte Freiheit war gross, wurde aber getrübt durch die unbeschreibliche Situation im sogenannten Niemandsland vor Mauretanien. In diesem 5km breiten Streifen zwischen der besetzten Westsahara und Mauretanien, eigentlich ein Teil der von der Polisario befreiten Gebiete, stauen sich die von Süden kommenden Lastwagen und gestrandete Menschen richten sich zwischen Müll und Schrott dauerhaft ein. Hier verläuft die einzige richtige Strasse Westafrikas in den Norden und es wird deutlich, dass die EU nicht einfach ein “friedenspolitisches Projekt” ist, sondern eine Festung, deren Herren skrupellos mit menschenverachtenden Randstaaten kooperieren. Das im Osten durch den 2600km langen Wall und im Westen am Atlantik von tausenden von Militärposten eingezäunte und von Europa gehätschelte Marokko ist (wie die Türkei im Osten) eine kaum zu überwindende Barriere für die vom Kapital arm gemachten und die vom Krieg um Ressourcen vertriebenen Menschen.

Ben Amira und Ben Aischa

Zu ihnen gelangt sind wir auf einer Piste, die 360km nahe der Eisenbahnlinie verläuft, auf welcher die längsten Züge der Welt verkehren. Die bis 2.5km langen Kombinationen transportieren das Eisenerz, welches in Zouérat im Norden Mauretaniens abgebaut wird, via Choum nach Nouadhibou ans Meer. Die zwei imposanten Monolithen mitten in der maurischen Wüste sind der Sage nach Mann und Frau.

Am Ben Aischa versammelten sich zur Milleniumswende eine Handvoll Bildhauer aus verschiedenen Ländern (u.a. Philippe Luyten, Belgien; Moussa Yira, Cote d’Ivoire; Lionel Schewuck; Barbara Falander, Polen; Paul Marandon, Frankreich; Siriki Ky, Burkina Faso; Sylvano Cattai, Italien; Jaja Schuerch, Amerika) und schufen eindrückliche Steinskulpturen, die jedoch in dieser gänzlich einsamen Gegend ein ziemlich unbeachtetes Dasein fristen.

Die wenigen Menschen denen man hier begegnet, die Militärs und neuerdings einige Goldsucher, interessieren sich jedenfalls für anderes.

Besuch bei der Polisario

Um direkt vom Ben Aisha nach Zouérat in Nordmauretanien zu gelangen, beschlossen wir, die von der Polisario befreiten Gebiete zu durchqueren. Die Grenze zur RASD (République Arabe Sahraouie Démocratique) verläuft nur etwa 5km nördlich vom Ben Aisha und wir fuhren einfach mal nach Nordosten los. Nach einigen Kilometern wussten wir, dass wir weder vom Maurischen Militär noch von der Polisario entdeckt wurden und dass uns für die nächsten 100km offroad höchstens die Dünen des Erg Hamami im Weg stehen werden.

Am nächsten Tag erreichten wir den ersten Posten der Polisario und baten dort um die Erlaubnis den Pelican 16 (siehe weiter unten) besuchen zu dürfen. Das war mehr eine Respektsbezeugung, wir waren beim Pelican ja schon vor zwei Jahren. Die Soldaten brachten uns daraufhin nach Agounite zum Headquarter, wo wir herzlich empfangen und mit Tee und Guezli verwöhnt wurden. Dank meiner Arbeit in den Flüchtlingslagern ergaben sich zudem angeregte Gespräche und auch das Interesse an meinen Fotos war gross.

Unser Anliegen wurde danach freundlich genehmigt und wir fuhren später begleitet von einigen Soldaten die 50km zum Pelican. Der ‘Pelican 16’ ist eine Avro Shakleton der Südafrikanischen Luftwaffe, war von 1957 bis1990 im Einsatz und musste 1994 bei der Überführung nach England in der Westsahara notlanden. Alle Besatzungsmitglieder überlebten und wurden von der Polisario geborgen, aber das Flugzeugwrack liegt nun seit mehr als 25 Jahren im Wüstensand.

Durch den Erg Maqteir nach El Ghallaouiya

Mit vollem Tank (100l), zusätzlichen Bidons mit Diesel (105l) und genügend Food für mehr als eine Woche verlassen wir Zouérat in Richtung Süden, und fassen bei der Quelle ‘V9’ noch viel viel Wasser. Am Checkpoint haben wir als Ziel den archäologischen Fundort ‘Azrag’ im Süden der Stadt angegeben und auf die Frage “et depuis” einfach die Stadt Atar. Damit gab sich der Gendarme, in der Meinung wir würden dann die Strasse nach Atar nehmen, zufrieden und wir lügen auch nicht. Also nichts wie weg und erstmal 20km über extrem steiniges Gelände zum Sebkah von Azrag, wo es ca. 10’000 Jahre alte, versteinerte Fussspuren von Menschen und Elefanten gibt.

Das eigentliche Ziel unserer Begierde liegt aber südöstlich des Sebkahs: Die Brunnen von El Ghallaouiya (Bir Zemran), hinter dem menschenleeren Erg Hammami und dem noch einsameren, riesigen Erg Maqteir. Vor uns liegen nun 350km spurlose Offroadfahrten über gefühlt endlose Sandgebiete und Dünenketten.

Nach vier Tagen Einsamkeit erreichen wir die Brunnen von El Ghallaouiya und übernachten in den Ruinen des alten französischen Forts. Wir haben das Glück, dass anderntags hier Nomaden eine Kamelherde mit ca. 300 Tieren zur Tränke führen.

Gravuren und Bifaces

Die prähistorische Zeit Afrikas ist genauso wie auch die Neuzeit ein Stiefkind der Forschung.

Zu den Gravuren im Canyon bei El Ghallaouiya gibt es deshalb nur spärliche Informationen. Die Darstellungen von Elefanten und Giraffen sind vermutlich vor ca. 6000 Jahren entstanden. Diejenigen von Rindern hingegen sind jünger und stammen von den ersten Tierzüchtern, die die Gegend vor etwa 4000 Jahren nach einer längeren Trockenzeit von Süden her besiedelten.

Um El Beyed, weniger als 100km westlich von El Ghallaouiya und am Nordrand des Guelb Er Richat (dem Auge Afrikas) gelegen, wurden an zwei Orten unzählige Artefakte (v.a. Werkzeuge sog. Bifaces) der Dhar Tichitt-Kultur aus dem Afrikanischen Neolithikum (vor ca. 3000 Jahren) gefunden. Der dort ansässige Yeslem Ould Bouailla trug seinerseits viele der Fundstücke zusammen und errichtete in einer Strohhütte ein kleines Museum.

Dem Adrar-Plateau entlang

Die 360km von El Ghallaouiya via El Beyed nach Atar fahren wir stets zwischen dem Südrand des Erg Maqteir und einer Falaise des Adrar-Plateaus wie in einem breiten Tal. Die Pisten sind abwechslungsreich, mal sandig, mal steinig, führen aber auch über schnell zu befahrende Sebkeths und Regebenen.

Während der letzten, abenteuerlichen 8 Tage und 730km von Zouérat quer durch den Erg Maqteir nach Südosten und dann diesem entlang nach Südwesten haben wir viel gesehen, aber nur sehr wenig Menschen. Wir freuen uns deshalb auf Atar, die sechst grösste Stadt Mauretaniens und Hauptort der Region Adrar. Trotz des geschäftigen Treibens ist die Atmosphäre hier entspannt und die Leute sind sehr freundlich und hilfsbereit, wie bis jetzt eigentlich überall in diesem Land. Wir freuen uns aber auch auf den sympathischen Camping ‘Bab Sahara’, dem Treffpunkt der wenigen ausländischen “Wüstenfahrer”.

Über den Tifoujar-Pass in den Erg Amatlich

Nach einigen Tagen in der Stadt und im ‘Bab Sahara’ haben wir aber genug vom lärmigen Treiben und sehnen uns wieder nach der Ruhe und der Weite der Wüste. Die nächsten vier Tage geht’s deshalb auf eine Rundtour durch die Berge des Adrars, über den Tifoujar-Pass  und durch die Dünen des Erg Amatlich. Nachdem wir uns von Serge und Betty verabschiedet haben, sind wir seit langem das erste mal wieder alleine unterwegs und wir geniessen die entsprechende Unabhängigkeit.

Bei und in Atar

Etwas südlich von Atar gibt es im Oued Seguelil seit kurzem eine Barrage, zu der man von der N1 auf einer kurzen Piste hinfahren kann. Wir stellen uns oben am Rand der Falaise in die schwarzen Felsen, von wo man einen schönen Blick auf das Oued und den Stausee hat. Im Moment gibt es hier zwar nicht besonders viel Wasser, zwei verlassene Siedlungen zeugen aber von einem potentiell höheren Wasserstand. Dem Achat gefällt es aber auch so …

Da wir unseren Aufenthalt in Mauretanien ausdehnen wollen, müssen wir anderntags nochmals nach Atar. Jeden Samstag morgen kommt hier nämlich ein Flugzeug aus Paris an und genau dann kommt man im Zollbüro am Flughafen problemlos zu neuen Visa. Bei einer Agentur in der Stadt haben wir danach auch noch schnell die Versicherung für das Auto verlängert, doch beim Passe-Avant hapert es. Der zuständige Zollbeamte arbeitet erst am Montag wieder und das Papier wird nur in Nouakchott ausgestellt. Also müssen wir noch einige Tage im ‘Bab Sahara’ darauf warten.

Nächste Seite Vorherige Seite